«Satt und sauber» ist nicht genug

Von: vpod region basel

Die Angestellten von «Leben in Vielfalt», einer Institution für Menschen mit Behinderung, wollen einfach nur ihre Arbeit machen. Ihnen werden aber unzählige Hindernisse in den Weg gestellt. Deshalb wehren sie sich – nun auch auf der Strasse.

Der Himmel ist leicht bewölkt, doch an der Motivation der VPOD-Mitglieder des LIV ändert das nichts. Seit Monaten haben sie sich auf diesen Tag vorbereitet. Sie haben seit August Unterschriften für ihre Petition «Leben in Vielfalt – Arbeiten in Würde» gesammelt. 188 Personen, knapp 90 Prozent aller LIV-Mitarbeitenden haben die Petition unterschrieben. Die Gründe, weshalb sich die LIV-Mitarbeitenden im VPOD organisiert haben und sich wehren, sind vielfältig.

Die VPOD-Mitglieder fordern:

✔️ 30% mehr direktes Betreuungspersonal
✔️ (Wieder-)Einführung des Zeitzuschlages
✔️ Verbindliche Planung der Überstundenkompensation
✔️ Generelle Senkung der Arbeitslast

Im Teufelskreis gefangen

An der Schifflände haben sich die Mitglieder zusammengefunden, um die Öffentlichkeit auf ihre Probleme aufmerksam zu machen. Bereits am Morgen ist ein Artikel im Bajour erschienen, der die «absurd schlechten Arbeitsbedingungen» der Basler Öffentlichkeit bekannt gemacht hat. Mit einem Banner mit der Aufschrift «Lasst uns unsere Arbeit machen!» hat sich die Gruppe auf der Strasse aufgestellt. Reden werden gehalten. Der Sozialpädagoge Joachim stellt klar: „Seit Jahren verschlechtern sich unsere Arbeitsbedingungen. Jetzt reicht es!“

Vor dem Banner sind verschiedene Hindernisse aufgestellt – beschriftet mit den kritisierten Problemen im LIV: Die gesammelten Unterschriften werden auf einem Rollstuhl durch die Hindernisse «zu wenig Personal», «Mehrarbeit», «körperliche Überbelastung», «psychische Überlastung» und «mehr Krankheitsausfälle» manövriert – und dann beginnt es wieder von vorne. Die Mitarbeitenden sind in einem Teufelskreis gefangen.

"Inklusion gibt's nicht zum Nulltarif!"

Die Lösung wäre einfach: es braucht mehr Personal. Das ist denn auch die Hauptforderung der Petition – es braucht 30 Prozent mehr direktes Betreuungspersonal. Wegen ständiger Unterbesetzung sind Überstunden das neue Normal. Darunter leiden die Mitarbeitenden, aber auch die Klient:innen. Nur dank unzähliger Überstunden und ständigem Einspringen kann überhaupt das Minimum der Betreuungsstandards noch eingehalten werden. Die Klient:innen hätten laut Behindertenrechtskonvention Anspruch auf viel mehr. Doch immer öfters reicht es gerade mal für «satt und sauber». Dieses geflügelte Wort im Sozialbereich beschreibt die Situation, dass Klient:innen noch knapp ernährt und gewaschen werden können. Auch das Duschen kommt immer öfters zu kurz. Nicht selten kommt es vor, dass Klient:innen statt zwei mal pro Woche (was schon wenig ist), nur noch einmal duschen können. «Inklusion kostet, Inklusion gibt’s nicht zum Nulltarif», fährt Joachim in seiner Rede an der Schifflände weiter. Und ja: bessere Arbeitsbedingungen und somit bessere Bedingungen für die Klient:innen kosten. Aber das muss es dem Kanton wert sein.

Demozug zu Regierungsrat Kaspar Sutter

In einem Demozug bewegen sich die LIV-Mitglieder und Sympathisant:innen Richtung Departement für Wirtschaft, Soziales und Umwelt, wo der Regierungsrat Kaspar Sutter sitzt. Sie skandieren mehrfach den Slogan «Lasst uns unsere Arbeit machen!». Die Wut und Frustration ist zu spüren. Oben angekommen gibt es weitere Reden und der Rollstuhl schlängelt sich nochmals durch den Hindernisparcours. Astrid, eine weitere Sozialpädagogin am LIV, setzt zur Rede an: «Wir sind heute hier, weil wir überlastet sind. Wir sind auch für unsere Klient:innen hier. Denn eine überlastete Betreuerin ist keine gute Betreuerin.» Es gibt Applaus, Pfiffe und Buhrufe – je nach Redeteil. Die LIV-Mitarbeitenden haben es schlussendlich geschafft: der Regierungsrat Kaspar Sutter hat sie gehört und kommt doch noch persönlich nach draussen, um die Petition entgegenzunehmen.

Nach der Aktion findet ein Gespräch mit dem Regierungsrat, dessen Generalsekretärin und dem Vorsteher der Abteilung für Sozialbeiträge Antonios Haniotis statt. Eine Delegation von 8 VPOD-Mitgliedern führt über 1.5 Stunden aus, wie prekär die Situation ist. Wer zuhört, kann nur immer wieder leer Schlucken. Betroffenheit reicht uns aber natürlich nicht, jetzt braucht es klare Verbesserungen. Regierungsrat Kaspar Sutter verspricht sich in zwei Wochen wieder zu melden.

Wir werden ihn beim Wort nehmen. Wir erwarten die volle Erfüllung der geforderten Punkte. Und wir werden nicht aufgeben, bis es konkrete Verbesserungen gibt. Das ist erst der Anfang.


Galerie: Übergabe LIV-Petition