1. Mai-Rede Samira Marti, Präsidentin vpod region basel

Von: Samira Mariti, Präsidentin

Rede zum Tag der Arbeit 2019 (es gilt das gesprochene Wort)

Liebe Kolleginnen und Kollegen
Liebe Genossinnen und Genossen
Liebe Freundinnen und Freunde

Der 1. Mai ist für mich:

Sich einsetzen für unsere Rechte.

Demonstrieren für Solidarität.

Aufbegehren gegenüber den Mächtigen.

Stärke zeigen als Bewegung.

Sichtbarmachen von Armut, der ökonomischen und darum oft existentiellen Abhängigkeit von Arbeitgebern und Politik und: Der Kampf dafür, diese Abhängigkeiten zu beenden.
Besonders betroffen von prekären Arbeits- und Lebensbedingungen, besonders betroffen von Armut respektive Altersarmut, besonders betroffen von ökonomischer Abhängigkeit, nicht nur gegenüber Arbeitgebern und Politik, sondern vor allem auch in der Partnerschaft; das sind sind die Frauen.
Frauen, und das zeigen etliche Erhebungen und Studien, leisten gleich viel oder sogar mehr Arbeit wie Männer. Und trotzdem besitzen Frauen nur 1% der weltweiten Vermögen und haben deshalb so gut wie kein Kapitaleinkommen. In der Schweiz kontrollieren Frauen nicht mal 10% des Vermögens, vom gesamten Erwerbseinkommen erhalten sie weniger als ein Viertel. Warum?
Frauen arbeiten oft in stark unterbezahlten Berufen mit schwierigen bis prekären Arbeitsbedingungen. Sogenannte Frauenjobs sind also schlecht bezahlt. Das liegt nicht daran, dass sich Frauen stärker für Berufe interessieren, die schlecht bezahlt sind. Nein. Die Logik ist genau umgekehrt. Die Geschichte zeigt uns nämlich: Wenn Berufe über die Zeit vermehrt von Frauen ausgeführt werden, sinken die Löhne und die gesellschaftliche Anerkennung. Ein gutes Beispiel dafür ist der Lehrerinnenberuf. Früher eine anerkannte Stellung in der Gesellschaft, der Lehrer (und ich gendere hier bewusst nicht) war im Dorf neben dem Pfarrer einer der wichtigsten Männer. Heute, da grossmehrheitlich Frauen in dem Beruf arbeiten, ist der Lohn tiefer, der Arbeitskampf strenger und Lohn- und Rentenkürzungen zum Normalfall geworden. Sogenannte Frauenberufe werden also schlecht bezahlt, weil Frauen weniger respektiert werden, weniger Respekt erhalten. Weil sie Frauen sind.
Frauen leisten den grössten Anteil der unbezahlten Erziehungs-, Betreuungs-, Haus- und Familien-Arbeit. Und obwohl dies die Grundlage unseres menschlichen Zusammenlebens bildet, gilt sie bis heute nicht als „richtige“ Arbeit. Die Doppelbelastung von Erwerbs- und Hausarbeit führt dazu, dass Frauen stärker burnout gefährdet sind als Männer.
Sogar in gut bezahlten Berufen bekommen Frauen weniger Lohn. Je höher der Lohn, desto grösser die Lohnschere zwischen Mann und Frau. Über ein Drittel aller in Vollzeit arbeitenden Schweizer Frauen verdienen weniger als 4000 Franken pro Monat und gerade mal 7.5% verdienen mehr als 8000 CHF pro Monat.
Das Zwischenfazit also: Egal, was Frau macht, sie steht schlechter da als der Mann. Weil sie Frau ist.
Und wenn sich Frauen in der Schweiz ökonomisch emanzipieren wollen, dann müssen sie das heute oftmals zwangsweise auf Kosten anderer Frauen tun. Zum Beispiel auf Kosten der KiTa-Betreuerinnen, die konstant unterbesetzt und schlecht bezahlt arbeiten müssen. Die bürgerliche Gesellschaft verlangt dann, dass wir uns entscheiden:
Sollen KiTa-Betreuerinnen besser bezahlt werden? Allerdings gehen die Frauen dann weniger Erwerbsarbeit nach? Oder umgekehrt?
Und anstatt darüber zu sprechen, wie viel wir überhaupt arbeiten wollen, wie wir uns Zeit und Respekt für Hausarbeit erkämpfen können, dass wir die Arbeitszeit reduzieren müssen und welche Rolle eigentlich (verdammt nochmals) die Männer dabei haben, bleiben wir in diesem Widerspruch stehen und senken die Köpfe.
Ja, wir müssen feststellen, dass wir heute in einem System leben, in dem die Befreiung der Frau oft auf Kosten anderer Frauen funktioniert und Probleme abgeschoben werden – auf weniger Privilegierte, auf Ausländerinnen, auf den globalen Süden. So funktioniert die ökonomische Emanzipation der privilegierten Frauen manchmal auf Kosten ausländischer Frauen. Die Care-Migrantinnen, die die Pflege und Betreuung der alten Angehörigen übernehmen, 24 Stunden arbeiten bzw. konstant auf Abruf sind, können sich in ihrem Arbeitsverhältnis nicht einmal auf das Arbeitsgesetz berufen. Dieses verspricht allen Angestellten heute minimale Rechte wie z.B. geregelte Ruhezeiten. Doch bei Care-Migrantinnen zählt das nichts. Denn die Arbeit im Privathaushalt wird nicht als echte Arbeit anerkannt, scheint nicht schützenswürdig und die Betroffenen werden nicht vor ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen geschützt. Das ist ein Skandal.
So weit, so schlecht. Doch es gibt Hoffnung: Liebe Frauen, heute ist der 1. Mai. Das heisst: Wir lassen uns nicht in diesen Konflikten spalten. Wir setzen uns für unsere Rechte ein, und zwar solidarisch. Wir begehren auf, und zwar organisiert. Nicht nur heute, sondern auch am 14. Juni, am nationalen Frauenstreiktag. Wir zeigen: Wenn Frau will, steht alles still. Wir zeigen Stärke als Bewegung, machen sichtbar, was und wer heute im Schatten der Gesellschaft leben und arbeiten muss, und kämpfen für uns. Und wir wissen, was wir wollen. Wir wollen nichts weniger als die Hälfte von allem, wir wollen Zeit, wir wollen Geld und wir wollen Respekt.
Gemeinsam haben Frauen die Macht, die Welt zu verändern. Ich fordere euch auf: Macht mit, streikt mit, beteiligt euch, bestellt euch eine Frauenstreik-Fahne oder nehmt gleich heute ein mit. Hängt sie aus den Fenstern raus und macht damit unsere Arbeit und unseren Widerstand sichtbar und streikt am 14. Juni. Ab 11 Uhr im Stedtli in Liestal zum Zmittag, um 15 Uhr dann gehen wir gemeinsam an die Demonstration in Basel.
Und, liebe Männer, die hier heute anwesend sind, solidarisiert euch. Übernehmt nicht nur, aber auch am 14. Juni die Pflege- und die Hausarbeit, die unser ganzes Leben heute erst möglich macht. Und bitte: “Helft” nicht einfach mit, “unterstützt” uns nicht einfach grosszügigerweise, sondern erledigt verdammt nochmals einfach eure Hälfte. Und am 14. Juni bitte auch noch den unseren.
Vielen Dank, venceremos!