Dass überhaupt über Mittelbauanliegen diskutiert wird, ist nicht selbstverständlich, sondern Resultat jahrelanger Bemühungen von Doktorierenden und Postdoktorierenden hier in Basel wie auf nationaler Ebene. Die zentralen Forderungen des Mittelbaus bleiben dabei jedoch gänzlich unberücksichtigt – darunter die Forderung nach entfristeten Stellen neben der Professur, nach stärkerer Mitsprache in der Universitätspolitik und der Auflösung des Lehrstuhlprinzips zugunsten von Anstellungen im Departementsprinzip.
Stellungnahme der VPOD-Gewerkschaftsgruppe Mittelbau zur geplanten Phil-Hist-Mittelbau-Reform im Rahmen des ESP 26-29
Ausgangslage
Die strukturellen Probleme und Ungerechtigkeiten des Wissenschaftsbetriebs sind notorisch. Sie sind – bei allen lokalen und nationalen Unterschieden – international ähnlich gelagert: Steile Hierarchien, persönliche Abhängigkeiten, tiefe Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen sowie wenig bis keine unbefristeten und attraktiven Stellen nach dem Doktorat. Wegen der herrschenden Planungsunsicherheit und Prekarität schlägt die soziale Selektion auf dem Weg zur Professur gnadenlos durch. Die Liste der offensichtlichen Probleme des status quo liesse sich verlängern. Die laufende Mittelbaureform an der Philosophischen Fakultät muss
vor dieser Ausgangslage betrachtet und beurteilt werden.
Wir begrüssen, dass die Fakultät Handlungsbedarf anerkennt und Massnahmen für eine Verbesserung der Situation des akademischen Mittelbaus ergreifen will. Aus dem Mittelbau angestossene Debatten und Initiativen haben hierzu beigetragen. Unser Basisengagement hilft, Veränderungsprozesse anzustossen. Wir erkennen denn auch in manchen Punkten der vorgesehenen Reform Verbesserungen gegenüber der aktuellen Situation. Allerdings werden die in den entsprechenden Arbeitsdokumenten angesprochenen Probleme grundlegender Art nur ungenügend angegangen. Eine Mittelbaureform kann nicht im engen formalen Korsett des Entwicklungs- und Strukturplans 2026-29 (ESP) und in einem engen zeitlichen Fahrplan abgehandelt werden, wie es bisher geschehen ist. Stattdessen müsste eine echte Reform in einem umfassenderen Rahmen angegangen werden, und den Mittelbau sowie auch die Gruppierungen II und V stärker partizipieren lassen. Die laufende Reform sollte deshalb, so sie verabschiedet wird, explizit als erster Schritt in einem weitergehenden Prozess verstanden werden.
Insbesondere finden wir als Gewerkschaft des Mittelbaus kritisch, dass die Professur der Königsweg wissenschaftlicher Karrieren bleibt und keine gleichwertigen alternativen Karrierewege in der Wissenschaft ermöglicht werden. Das äussert sich im Entwurf unter anderem darin, dass die Entfristung von Post-Docs an keiner Stelle diskutiert wird. Die Post-Doc-Anstellung wird weiterhin als Qualifikationsphase gewertet. Der zentralen Forderung des Mittelbaus der Phil-Hist-Fakultät nach Entfristungen von Post-Doc-Stellen wird durch das Reformpapier somit nicht entsprochen. Zu einer echten Mittelbaureform sollte auch die Stärkung des Mittelbaus in den universitären Gremien zählen. Der grösste Anteil an Lehre, Forschung und universitärer Verwaltung an der Universität wird vom Mittelbau übernommen – dies sollte sich in der Gremienstruktur auch abbilden. Zu einer Reform der Gremienstrukturen findet sich im Entwurfspapier jedoch nichts.
Unsere Rückmeldung gliedert sich daher in vier Punkte:
- A. Zusammenfassung
- B. Nachfragen und Diskussionspunkte
- C. Konkretes Feedback zu den vorgeschlagenen Massnahmen
- D. Mittelfristige Ziele
A. Zusammenfassung
- Eine Mittelbaureform kann nicht sinnvollerweise im Rahmen des «Entwicklungs- und Strukturplans» der Fakultät abgehandelt werden, sondern muss ein eigener Prozess sein. In diesem Prozess muss der Mittelbau enger und mit mehr Mitspracherecht eingebunden werden, als es die derzeitige Gremien-Struktur zulässt.
- Wir fordern eine Reform der Gremien-Struktur und mehr Einbindung des Mittelbaus in die Selbstverwaltung der Universität.
- Eine wirkliche Mittelbaureform muss die grundsätzliche Entfristung von Assistenzstellen auf Post-Doc-Ebene zum Ziel haben.
- Wir lehnen die Aufspaltung von Karrierewegen in Forschungs- und Lehrkarrieren ab. Dieses Modell lässt die Professur als Königsweg der Karriere unhinterfragt und führt eine zumindest für die Geistes- und Sozialwissenschaften widersinnige Trennung von Lehre und Forschung ein. Auch kann es nicht im Sinn einer diversen Lehre sein, dass sich alle iterierenden Kurse auf eine oder wenige Personen konzentrieren.
- Eine Diversifizierung von Wissenschaftskarrieren kann nicht durch die Schaffung von Wissenschaftsadministrationsstellen erreicht werden. Wissenschaftsadministration ist keine Wissenschaft.
- Das Bemühen um 100%-Anstellungen für das Doktorat und für Postdocs ist aus mehreren Gründen lobenswert. Für 100% Arbeit soll 100% Lohn bezahlt werden. Nur so wird auch wirkliche Teilzeitarbeit ermöglicht. Jedoch fordern wir die Einstufung nach demselben Tarif wie bisher: Eine Erhöhung des Arbeitspensums kann nicht mit einer Entwertung der einzelnen Arbeitsstunde einhergehen. Auch darf eine Anpassung der Stellenprozente an die Realität nicht dazu führen, dass noch mehr Aufgaben anfallen und Zeit für die eigene Forschung verloren geht.
- Das Bemühen um eine Reduktion von Abhängigkeiten ist lobenswert, muss aber verbindlicher formuliert werden.
- Die Verpflichtung der Departemente zur Schaffung von Doktoratsstellen durch die Umwidmung von Assistenzstellen ist lobenswert; es muss jedoch geklärt werden, wie der dadurch entstehende Mehraufwand aufgefangen wird.
- Mittelfristig sollte eine grundlegende Umwandlung des gegenwärtigen Lehrstuhlsystems zugunsten einer demokratischeren und teamorientierten Departementsstruktur ernsthaft erwogen werden.
B. Nachfragen und Diskussionspunkte
- Wie wird die Mittelbaureform umgesetzt, wenn das Status Quo-Szenario eintritt und es keine zusätzlichen Mittel gibt? Wir begrüssen die Beantragung zusätzlicher Mittel. Dennoch fragt sich: Welchen Sinn hat es, eine Mittelbau-Reform an die Verabschiedung des ESP zu binden? Es existiert eine Fülle von Rechenbeispielen für kostenneutrale Reformen von Departementsstrukturen. Man darf sich nicht durch den Zeitdruck und die Sachzwänge des ESP von einer echten Reform abhalten lassen.
- Wofür werden die zusätzlichen Mittel genau eingesetzt?
- Werden die Doktorierenden nach der Reform mit zwei Anstellungsverträgen (einmal als Assistenzen und einmal für die Lehre) angestellt? Das ist uns aufgrund des vorliegenden Papiers unklar. (Wir beziehen uns auf die Formulierung auf Seite 3: «Anstellung zu 87, 5% in Tarif Doc 1 plus 2 SWS Lehre in LK 18»)
- Wie kann verhindert werden, dass bei der Einstellung einer 100%-Postdoc die administrative und betreuungstechnische Arbeitsbelastung, die bisher auf mehrere Personen verteilt war, nicht auf diese eine Stelle entfällt?
C. Konkrete Kritikpunkte zum Papier
Ia. Verbesserung der Anstellungsbedingungen der Assistierenden.
1) Bessere Anstellungsbedingungen: Wir begrüssen die Absicht, Doktorierende und Post-Docs grundsätzlich zu 100% anzustellen. Die weiterhin möglichen Teilzeitstellen müssen aber klar geregelt werden: Wie werden sie beantragt? Wie wird sichergestellt, dass bei einer Teilzeitstelle auch dem Anstellungsgrad entsprechend weniger Arbeit in der Lehre und Selbstverwaltung erledigt werden muss? Zudem sind wir der Ansicht, dass die unter 1b. formulierte damit einhergehende schlechtere Lohneinstufung der Docs und Post-Docs problematisch und ungerechtfertigt ist. Wir fordern, dass die Erhöhung des Arbeitspensums eine proportionale Erhöhung der Löhne bedeutet.
Wir befürworten die Anpassung der Arbeitspensen auf Doc- und Postdocstufe an die realiter bereits seit Langem gängige Arbeit in Vollzeit. Doch die Erhöhung der Arbeitszeit von 60% auf 100% ohne eine proportionale Erhöhung des Gehalts (die vorgeschlagene Erhöhung beträgt 19% für Doktorierende und 28% für Postdocs von dem, was sie jetzt verdienen; eine proportionale Erhöhung würde eine proportionale Erhöhung würde einer Zunahme von 66% des aktuellen Gehalts entsprechen) verringert de facto die Vergütung der Doktorierenden und Postdocs pro Stunde. Das bedeutet, dass die Mitarbeiter:innen, die aufgrund von «Betreuungspflichten, paralleler Anstellung auf einer fachaffinen berufs- qualifizierenden Stelle, paralleler Projektanstellung» und weiterhin unter 60% beschäftigt werden, tatsächlich weniger verdienen würden als jetzt. Darüber hinaus müssen die «begründeten Fälle» genau definiert werden. Andernfalls kann es in Zukunft zu negativen Entwicklungen kommen, bei denen Doktorierende und Postdocs zu 60% weiterbeschäftigt werden und weniger verdienen als im gegenwärtigen Besoldungsmodell.
Das Papier sieht für Doktorierende ein Lehrdeputat von 2 SWS vor. Wir begrüssen die frühe Einbindung von Doktorierenden in die Lehre. Allerdings sollte das Pflicht-Deputat auf 1 SWS begrenzt sein. Alternativ kann man an den 2 SWS festhalten, allerdings mit einer Verlängerung der Doktoratszeit auf 5 Jahre. Bei Postdocs muss die Erhöhung von 2 SWS bei 60% auf 3 SWS bei 100% dazu führen, dass anderweitige Aufgaben reduziert werden. Ansonsten führt die Anpassung des Anstellungsgrad an die bereits jetzt geleistete Vollzeitarbeit faktisch zu einer Reduktion der Zeit, die für die eigene Forschung zur Verfügung steht.
2) Protected Research Time und Lehrentlastung: Dass der vom Dekanat ursprünglich vorgesehene Anspruch von Doktorierenden und Postdocs auf Lehrbefreiung während eines respektiven zwei Semester aufgrund von Kritik der Gruppierung I aus der Vorlage gestrichen wurde, vermindert den Wert der Reform für den Mittelbau drastisch. Angesichts dieses Entscheids fragt sich desto mehr, welchen praktischen Stellenwert die auf dem Papier zugesicherte sogenannte Protected Research Time überhaupt haben wird. Der Schritt, diesbezügliche Beschwerden über die Geschäftsführung der Departemente zu behandeln, statt direkt von den vorgesetzten Professor:innen ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, dürfte aber praktisch dennoch von begrenztem Nutzen für den Mittelbau sein, weil die Geschäftsführenden der Gruppierung I institutionell und persönlich näher stehen als der Gruppierung III. Zudem ist unabhängig von der konkreten Ansprechsperson eine Beschwerde im Sinne der Protected Research Time eine krasse Eskalation im Vertrauensverhältnis zwischen Professor:in und Doktorand:in, weswegen von dieser Neuerung wenig bis keine Verbesserung zu erhoffen
ist.
3) Reduzierung direkter Abhängigkeit: Die Einrichtung von Komitees zur Einstellung von Assistenzen begrüssen wir. Die Komitees sollten allerdings nicht nur professoral besetzt sein, sondern es müssen hier auch Mittelbau-Vertretungen eine Stimme haben. Es wäre sinnvoll, wenn es konkrete Richtlinien für diese Komitees gibt.
4) Mehr Doktoratsstellen: Wir begrüssen die Schaffung von mehr Doktoratsstellen gerade angesichts des Auslaufens von Doc.ch, und der Weise, wie die Fakultät bisher die Doktoratsausbildung auslagert (die fakultätseigenen Ausbildungsorte für Doktoranden, etwa die graduate school «eikone», sind kein vollwertiger Ersatz für Doktoratsassistenzen in den Departementen.) Das Dokument formuliert eine Maximalzahl von 10 Doktorierenden pro Professur, die uns sinnvoll erscheint, um ein angemessenes Betreuungsverhältnis zu garantieren.
5) Beratung/Evaluation in der End- und Eingangsphase: Wir begrüssen eine stärkere Unterstützung gerade auch in der Endphase des Doktorats. Neben der Beratung in Bezug auf Karrierewege begrüssen wir insgesamt eine stärkere Beratung von Doktorierenden, bei der insbesondere auch das Problem der Abhängigkeitsverhältnisse angesprochen wird, Doktorierende ihre Rechte und Pflichten gegenüber Professor:innen kennenlernen, sowie was sie bei Übertretungen und Missbrauch tun können.
Wir verwehren uns gegen die paternalistische Idee eines «Feedback hinsichtlich der Eignung für den track zur Professur» in der Postdoc-Phase. Die Eignung für akademische Arbeit ist mit dem Abschluss einer exzellenten Dissertation vollständig erbracht. Denkbar wäre hingegen ein verbindliches System wie es in anderen europäischen Ländern gängig ist, in dem eine erfolgreiche Evaluation nach einer zweijährigen Postdoc-Phase eine automatische Entfristung bewirkt.
Ib. Umsetzung der Massnahmen der Anstellungsbedingungen der Assistierenden.
Wir begrüssen die Einrichtung von professurunabhängigen Fachbereichsassistenzen auf der Postdoc-Ebene. Allerdings verstehen wir nicht, warum diese wiederum befristete Stellen sein sollen. Wir fordern die Schaffung von professurunabhängigen, unbefristeten Fachbereichsassistenzen. Wir fordern ausserdem, dass die Fakultät klare Ziele setzt, wieviele dieser Stellen in den nächsten Jahren geschaffen werden sollen.
Die Befreiung von der Lehre für Doktorierende für ein Semester und für Post-Docs für zwei Semester begrüssen wir. Die Befreiung von der Lehre in diesem Rahmen sollte unmissverständlich als verbindliches Recht der Doktorierenden, bzw. Postdocs (und nicht bloss als Möglichkeit) formuliert werden.
II. Verstärkte Einrichtung von Tenure-Track-Assistenzprofessuren (TTAP)
Unter gegenwärtigen Umständen und auf kurze Sicht ist ein weiterer Ausbau von TTAP zu befürworten, weil sie eine frühere Planbarkeit der wissenschaftlichen Karriere erlaubt. Allerdings steht auch die TTAP für eine Vorstellung von wissenschaftlicher Karriere, die einzig die Professur als Ziel kennt. Wir fordern eine Mittelbau-Reform, die von dieser Vorstellung abrückt. Diversifizierung der Karrierewege darf nicht bedeuten, dass ein Zwei-Klassen-System wissenschaftlicher Anstellungen eingeführt wird, mit einem track zur Professur einerseits, und einem Abstellgleis mit Hoch-Deputats-Stellen andererseits. Eine Hoch-Deputats- Stelle, die eine Grosszahl der iterierenden Kurse abdecken würde, kann auch aus der Perspektive der Studierenden und im Sinn einer qualitativ hochwertigen und diversen Lehre nicht wünschenswert sein. Wir lehnen die Aufspaltung von Lehre und Forschung ab.
Teilzeitprofessuren sind eine zeitgemässe Lösung und sollten gefördert werden. Warum wird diese Option in den «Grundsätzen für den ESP-Prozess» ausgeschlossen?
Ungeklärt ist in dem Papier, wie mit den Umwidmungen der Assistenzstellen etwa von zwei 60%-Doktoratsstellen zu neu einer Postdoktorierenden-Stelle die adminstrativen Aufgaben und der Betreuungsaufwand neu verteilt werden. Wir sehen die Gefahr, dass dies am Ende durch Mehrarbeit des Mittelbaus aufgefangen wird.
Die Universität ist in Lehre und Forschung vom Mittelbau abhängig. Eine wirkliche Reform des Mittelbaus auf längere Sicht muss die Entfristung von Stellen auf Postdoc-Ebene anstreben. – stable jobs, better science!
III. Diversifizierung universitärer Karrierewege
Wir möchten festhalten, dass Stellen in der Wissenschaftsverwaltung keine Stellen in der Wissenschaft sind. Sie werden bisher auch nicht der Gruppierung III zugerechnet. Es muss vermieden werden, dass Mittel, die für Wissenschaft bestimmt sind, in das Wissenschaftsmanagement abfliessen. Wir fordern Dauerstellen, aber in der Wissenschaft! Dass das Papier sogenannte «Third Space»-Stellen als Diversifizierung wissenschaftlicher Karrierewege abhandelt, ist nicht nachvollziehbar.
D. Mittelfristige Ziele
Die Fakultät sollte anstreben, neben der Professur alternative gleichwertige Stellen für Forschung und Lehre in Teilzeitpensen zu ermöglichen.
Die Fächer sollen in Zukunft nicht mehr von einzelnen Professuren abhängig sein, sondern durch diverse Teams geleitet werden. Das ermöglicht einen Ausgleich der Macht der Professor:innen und erhöht die Kontinuität der Fächer.